Das reale Dilemma heutiger Agilität

(c) Bild Wikimedia, Zarateman / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Klare Worte. Seit 14 Jahren coache ich agile Teams, doch in den letzten Jahren musste ich mehr und mehr einen Zerfall der dahinterliegenden Werte bei den meisten Firmen erleben. Immer mehr Menschen verwenden Agilität als Lippenbekenntnis, Beliebigkeitscontainer und immer mehr Berater sind Agile Coaches, ohne einen ernsthaften Hintergrund darin zu besitzen. Wir podcasteten darüber. Der größte „Feind“ von Agile ist nicht mehr irgendein klassischer Wasserfall-Prozess, es ist Agile selbst – Fake Agile.

Überall wo man heute in der IT-Industrie mit Agilität um die Ecke kommt, gibt es mindestens Skepsis, wenn nicht verbrannte Erde – was faszinierend ist, wenn man bedenkt, dass in Einzelgesprächen viele hunderte Menschen mir erzählt haben, dass Scrum und Agilität tatsächlich etwas in ihren Teams und Organisationen verbessert hat. Doch die Früchte des agilen Vorgehens mit der Mistgabel breit gestreut auf große Unternehmen zu werfen, scheint so nicht aufzugehen. Ich kann es persönlich ja sehr gut verstehen, dass auch und gerade Großunternehmen sich Wendigkeit und Marktnähe wünschen. Doch bleibt die Umsetzung oft weit hinter den Erwartungen zurück. Viele Köche verderben viel Brei.

SAFe soll eine der Antworten darauf sein – mitnichten. Mein Jahr in einer SAFe Transition war kein Highlight von erreichter Kundennähe und neuer Anpassungsfähigkeit. Respekt vor der kommerziellen Breite von SAFe und dem Wunsch, sich diesem Problem anzunehmen – frage ich aber bei Networking-Abenden in die Runde, wie gut die Ergebnisse sind, wirken die Antworten eher wie dogmatische Grabenkämpfe als konkrete Kundenergebnisse. Schade, denn wer einmal in einem echten agilen Team geatmet, geschwitzt und am Sprintende mitgeblutet hat, der weiß, was möglich ist. 

Der Preis ist das Problem. Die meisten Manager wollen den Effekt – ohne den Kaufpreis zu bezahlen. Und seien wir ehrlich: Damit sind „die Manager“ keine schlechten Menschen. Wieviele Monate Mitgliedsbeitrag in meinem Fitnessstudio habe ich bezahlt, weil ich davon geträumt habe, diesen geilen Body zu haben, den sowohl der knackige Beachboy-Typ als auch die heiße Bikini-Dame daneben auf dem Werbeplakat hatten? Man will immer gleich den Effekt. Aber Realität entsteht eben anders. Wie oft war ich dann tatsächlich beim Workout? Wie sieht mein Körper jetzt aus? Du verstehst? 

Doch es ist noch schlimmer: Selbst wenn von Anfang an jedem Manager glasklar wäre, dass die Reise dauert, komplex ist und viele Möglichkeiten zum Scheitern besitzt: Was nützt das? Agile Organisationen erschafft man nur, in dem man starre Strukturen sukzessive oder gleich radikal abbaut und Leuchtfeuer-Projekte mit Litern von Öl übergießt, damit der Schatten der Change Initiative vor jeder Wand lodert. Kultur folgt Struktur, sagen die Jungs von Large Scale Scrum dazu. Das ist einfach sau schwer. Been there, tried that. Teilerfolge: klar, der ganze Tanker: Steuerrad rumgerissen, aber das Heck kommt nicht nach. Der Ausguck ist mittlerweile auch nicht mehr besetzt.

Die Frage ist: Geht Agilität in großen Unternehmen? In Abteilungen sicher, in Teams sowieso, in der ganzen Company? Auch nach 14 Jahren bin ich noch – vielleicht auch wieder – skeptisch. 

Bitte (!) belehrt mich eines Besseren in den Kommentaren. Ich halte es wie Fox Mulder in den X-Files: I want to believe.

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